Der Wassertrupp

Es ist Freitagabend, halb sechs. Gerade komme ich müde von der Arbeit auf der Baustelle nach Hause, wo mein Vater schon auf mich wartet. Jetzt noch den Anhänger abladen und zwei Stunden daheim den Umbau in der Wohnung weitermachen. Es vibriert an meinem Gürtel und fängt an laut zu pfeifen. Mein Vater beginnt zu fluchen: „Nicht jetzt! Wann sollen wir denn das sonst machen?“. Ich schaue aufs Display auf dem steht: „Brand 2 – Rauchentwicklung“. Als ich nach draußen renne fällt mir ein, dass dummerweise der Anhänger an meinem Auto hängt. Das heißt, dass ich ins Gerätehaus rennen muss. Dort angekommen und ziemlich außer Puste sind schon mehrere Kameraden am Umziehen und steigen ins Löschgruppenfahrzeug. „Ein Mann Atemschutz“ ist vom Fahrzeug her zu hören. Ich schnappe mir meinen Sicherheitsgurt und laufe zur offenen Fahrzeugtür. Als ich drinnen bin geht es auch schon los. Ich erfahre, dass wir nur eine sehr kurze Anfahrt haben. Der Angriffstrupp legt sich beim Ausrüsten mit den Atemschutzgeräten ins Zeug, um innerhalb etwa einer Minute komplett einsatzbereit zu sein. Der Gruppenführer, der vorn gerade mit dem vorausfahrenden Zugführer gefunkt hat, erklärt uns, dass es wohl in einem leer stehenden Gebäude richtig brennt und der Wassertrupp – also auch ich – sich auch gleich mit Atemschutzmaske ausrüsten soll. Mir fällt auf, dass mein junger Kamerad gerade erst vor ein paar Tagen den Atemschutzlehrgang bestanden hat. Geht das gut?

Als wir anhalten, absitzen und die Wasserversorgung vom Fahrzeug zum Hydranten aufbauen sehe ich, wie ein Verantwortlicher für das Gebäude auf die Führungskräfte zukommt und ihnen leicht panisch zu erklären versucht, dass sich eventuell noch zwei Jungs im Gebäude befinden sollen.

Der Angriffstrupp ist zum Vordereingang rein und sucht den zweistöckigen Teil nach den beiden Kindern ab. Der Gruppenführer nimmt uns mit zum Nebeneingang, der ebenerdig in einen sehr großen und stark verrauchten Raum führt. Er gibt uns die Anweisung: „Ihr übernehmt die Brandbekämpfung und sucht von der Halle her nach den beiden vermissten Jungs!“. „Haben wir alles dabei?“ geht es mir durch den Kopf. Funkgerät, Halligan-Tool, Wärmebildkamera, genügend Schläuche für das Strahlrohr. Brauchen wir einen Rauchabschluss? Wohl eher nicht. Da drinnen ist eh schon alles komplett verraucht. Wir geben dem Gruppenführer unseren Flaschendruck aus den Atemschutzgeräten an und machen eine Sprechprobe, um zu kontrollieren, ob die Funkverbindung steht, wenn wir gleich im Raum nichts mehr sehen. Dann gehen wir rein. Zu meinem jungen Truppmann sage ich schon bevor es losgeht: „du bleibst hinter mir!“. Ab jetzt trage ich die Verantwortung für ihn, damit uns beiden nichts passiert. Nach wenigen Metern kommen wir an eine Kante, bei der es steil und recht weit nach unten geht und ich fast hinunterfalle. Was ist das denn? Wir scheinen in einem leer stehenden Schwimmbad zu sein. Ich gebe diese Info per Funk an meinen Gruppenführer weiter, weil das draußen noch nicht klar zu sein scheint und damit unsere nachrückenden Kameraden darauf vorbereitet sind. Langsam tasten wir uns mit dem schweren Wasserschlauch, der Angriffsleitung, am leeren Schwimmbecken entlang. Ständig müssen wir herumstehendes Gerümpel, wie alte Möbel, Tische und Stühle beiseiteschieben, bis es immer heißer wird. Es scheint, dass wir schon 20 oder 30 Meter seit der Eingangstüre zurückgelegt haben als wir plötzlich offenes Feuer sehen. Sofort beginnen wir, mit gezielten und kurzen Wasserstößen das Feuer klein zu bekommen. Durch den heißen Wasserdampf sehen wir jetzt noch weniger, aber es ist wahrnehmbar, dass das Feuer auszugehen scheint. Dem Gruppenführer melde ich gleich per Funk, dass das Feuer aus ist und eine Druckbelüftung möglich, als ein zweiter Trupp aus dem zweiten Löschgruppenfahrzeug zu uns stößt. Vom Gruppenführer bekomme ich die erlösende Nachricht, dass die beiden Jungs nicht im Gebäude, sondern draußen bei der Polizei sind, wir aber trotzdem noch mal das Gebäude absuchen sollen. Gemeinsam schlagen wir am Ende der Schwimmhalle ein Fenster ein, damit Rauch und Dampf durch den Lüfter am Eingang herausgedrückt werden können und ziehen mit dem Halligan-Tool und unserer ganzen Kraft den brennenden Möbel- und Matratzenhaufen auseinander, um auch die letzten Glutnester zu bekämpfen. Die Sicht wird deutlich besser, sodass wir endlich sehen können, wie hier alles aussieht. Wir sind nur ca. 10    m vom Eingang entfernt.

Wir gehen weiter durch das Gebäude und schauen, ob sich irgendwo noch andere Personen aufhalten. Im Treppenhaus kommt uns schließlich der Angriffstrupp entgegen, der vorhin zum Haupteingang ins Gebäude vorgegangen ist und wir sprechen uns mit ihnen ab, wer wo weiter sucht. Als wir schließlich nach ca. 5 Minuten mit drei Trupps alle Räume zweimal abgesucht haben, können wir endlich nach draußen gehen. Wir legen unsere etwa 20 kg schwere Atemschutzausrüstung ab und machen eine Pause um zwei Flaschen Wasser zu trinken, bevor es ans Aufräumen geht. Mein junger Kamerad scheint sehr erleichtert zu sein. Ich selbst bin zwar körperlich völlig erschöpft und komplett durchgeschwitzt, aber froh, dass alles so gut geklappt hat und einfach nur stolz auf ihn. Seine Feuertaufe hat er super bestanden.
Nachdem wir alle Schläuche zusammengeräumt haben, fahren wir zurück ins Gerätehaus, um die Fahrzeuge wieder zu reinigen und neu zu bestücken. Den Atemschutznachweis, bei dem wir genau eintragen müssen, wie lange wir mit welchem Atemschutzgerät im Einsatz waren, füllen wir noch gemeinsam aus, bis wir endlich Feierabend haben. Es ist fast neun als wir uns mit etwa 20 Mann in den kleinen Aufenthaltsraum um den Stammtisch drängen, um noch ein Abschlussbier zu trinken. Erleichtert erzählt jeder, wie es ihm bei dem Einsatz ergangen ist und alle sind sich einig und froh darüber, dass wir gesund wieder nach Hause gekommen sind.