Der Maschinist

Ich sitze auf dem Traktor und fahre über den Acker. Wenn ich jetzt dran bleibe, kann ich in einer Dreiviertelstunde fertig sein. Dann reicht es mir nachher noch pünktlich zum Geburtstagsfest meiner Schwester. Es wird zwar knapp, aber ich muss heute noch damit fertig werden, weil morgen das Wetter schlechter wird.

Neben dem monotonen Motorengeräusch schreckt mich plötzlich mein Piepser auf. Seit ich mir vor etlichen Jahren vorgenommen habe, erst einmal genau darauf zu lesen, was anliegt, bin ich in diesem Moment trotzdem noch recht ruhig. Das ändert sich aber, nachdem ich den Wortlaut: „Verkehrsunfall – eingeklemmte Person“ lese. Mein Abwägen, was nun wichtiger ist, geht recht schnell: ich schwenke um und fahre mit meinem Traktor sofort in Richtung Feuerwehrhaus. Das ist zwar etwas sperrig aber zum Glück ist nicht allzu viel Verkehr. Wenn ich schnell genug bin, reicht es mir auf einen Fahrersitz eines der drei großen Löschgruppenfahrzeuge oder des GW-T. Wenn man schon seine Stärken in einer speziellen Aufgabe hat, will man sie ja auch ausspielen.

Ich komme in der Fahrzeughalle an. Schon mehrere Kameraden sind dabei, sich umzuziehen. Links neben mir höre ich jemanden rufen: „Christof, du bist mein Maschinist auf 44-3“. Für mich heißt das, dass ich gleich mit dem ersten großen Fahrzeug ausrücken werde. Vor uns wird noch keiner dort sein. Es wird noch keine Verkehrsabsicherung geben und vermutlich auch keine Rettungsgassen oder ähnliches. Das wird spannend. Ich setze mich auf den Fahrersitz des großen LKW und stelle mir den Sitz ein, währenddessen sich die Mannschaftskabine schnell mit sieben weiteren Kameraden füllt. Der Gruppenführer neben mir funkt noch kurz mit der Leitstelle, um noch weitere Infos zum Einsatz zu erfahren und deutet mir an, loszufahren. Mit Sonder-
signal, also Blaulicht und Martinshorn rollen wir vom Hof. Da ich auch beruflich und in meiner Freizeit immer schon gerne mit LKW und großen Fahrzeugen gefahren bin, fühle ich mich hier sehr souverän. Wir fahren durch den Innenstadtbereich. Zwei Autos halten auf dem Gehweg und machen uns Platz. Als wir das Ortsschild passieren sehen wir schon den Rückstau auf der Bundesstraße. Dort hinten muss es sein. Der Gruppenführer teilt die Mannschaft im Fahrzeug ein und bespricht sich kurz, was uns gleich erwartet. Eine Person soll wohl noch in einem der beiden verunfallten Fahrzeuge eingeklemmt sein. Wir nähern uns dem Ende des Staus und ich steuere auf die Gegenfahrbahn, um an den Wartenden vorbei zu fahren. Von weitem können wir schon ein querstehendes Fahrzeug und mehrere Menschen in Warnwesten erkennen. Kurz vor der Einsatzstelle fällt mir noch ein, das Martinshorn auszuschalten, um die am Unfall Beteiligten nicht noch zusätzlich mit dem lauten Signal belasten zu müssen.

Der Gruppenführer deutet mir an, quer vor die Unfallstelle zu fahren, um sie gegen den nachfolgenden Verkehr abzuschirmen. Wir stoppen. „Absitzen“ ruft der Gruppenführer. Jetzt kommt es auf mich an. In den ersten paar Minuten muss jeder Handgriff sitzen, damit Angriffs- und Schlauchtrupp so schnell wie möglich ihren Bereitstellungsraum und ihre Werkzeuge platzieren können. Zuerst helfe ich den vieren dabei, das Hydraulikaggregat aus dem Fahrzeug zu entnehmen. Dann gehe ich schnell auf die Beifahrerseite, um den Stromerzeuger zu starten. Den brauchen wir für fast alles: Hydraulik, später vielleicht Licht, Sägewerkzeuge. Als alles läuft, kommt die Feuerlöschkreiselpumpe am Heck dran. Um den Brandschutz sicherzustellen brauchen wir gleich Wasser. Ich nehme die Pumpe fast blind in Betrieb, ohne groß darüber nachzudenken. Das haben wir schon tausendmal geübt. Dann gehe ich wieder zurück auf die Fahrerseite und helfe weiter dabei, alle schweren Werkzeuge abzuladen, die meine Kameraden auf der Bereitstellungsdecke hinter dem Unfallauto platzieren.

Ein Kamerad vom Schlauchtrupp kommt zu mir gelaufen und sagt: „Christof, wir brauchen einen Ratschenzug!“. Wo um alles in der Welt liegt denn der jetzt wieder? Ich ertappe mich dabei, wie ich anfangen muss, zwei Geräteräume im Fahrzeug nach dem Ding zu durchsuchen. Das kann doch nicht sein! Langsam werde ich hektisch, weil ich ihn einfach nicht finden kann, aber hauptsächlich, weil ich mich maßlos über mich selber ärgere. Gerade ich sollte doch wissen, wo dieses Werkzeug liegt. Der Kamerad beruhigt mich währenddessen: „Es ist nicht so schlimm. Die Person ist nicht eingeklemmt, nicht schwer verletzt und es eilt nicht mehr“.

Nachdem ich den Ratschenzug endlich gefunden und an den Schlauchtruppmann übergeben habe gehe ich nochmal im Kopf durch, ob ich an alles gedacht habe. Sollte passen. Jetzt ist auch für mich der Zeitpunkt, mal zu den beiden Unfallautos zu gehen und mir anzuschauen, wie die Lage dort eigentlich aussieht. Die Nachricht von dem Schlauchtruppmann habe ich erleichtert zur Kenntnis genommen und der Druck ist zumindest ein kleines bisschen weniger.
Ich schaue noch eine Weile zu, wie der Rettungsdienst seine Arbeit macht, bis es auch schon wieder ans Aufräumen geht. Schaufel, Besen und Ölbindemittel vom Fahrzeugdach holen und nach und nach alle Werkzeuge wieder ins Fahrzeug einräumen. „Ist nochmal glimpflich ausgegangen“ denke ich mir, als wir etwa zwei Stunden nach dem Alarm zurück ins Gerätehaus fahren. Dort angekommen machen wir uns gleich ans Aufräumen. Weil alle mithelfen, sind wir nach kurzer Zeit fertig. Danach treffen sich alle Kameraden, die dabei waren nochmal an unserem Stammtisch im Mannschaftsraum, um das Geschehene zu besprechen. Obwohl ich es, wegen dem Geburtstag meiner Schwester, etwas eilig habe, setze ich mich noch einen Moment dazu. Meine verpasste Arbeit muss ich sowieso morgen dann nachholen. Für mich sind die Feuerwehr und meine Kameraden nicht nur ein Hobby. Ich sehe sie eher wie eine Art Familie, mit der man sehr viel Zeit verbringt, Spaß hat, auch mal diskutiert, auf die man sich aber zu jedem Zeitpunkt verlassen kann.