Der Einsatzleiter / Zugführer
Donnerstag gegen 16.30 Uhr, ich habe mit meinem Chef eine Besprechung zu einem Bauprojekt an meinem Schreibtisch, als plötzlich mein Funkmeldeempfänger auslöst. Ich nehme ihn vom Gürtel und schaue gespannt drauf, was anliegt: „Brand 2: Wohnungsbrand, Hüfingen, Hauptstraße“.
Mein Chef, der auch ein Feuerwehrkamerad von mir ist, und ich rennen zum Auto und fahren ins Gerätehaus. Dort angekommen sind bereits die Tore an der Fahrzeughalle offen und wir rennen zu unseren Spinden, um uns umzuziehen. Zwei andere Kameraden sind schon dort. Zu meinem Chef und einem anderen Kameraden rufe ich: „Ihr macht Angriffstrupp!“ Die beiden schnappen sich alles, was sie brauchen, um sich im Fahrzeug mit Atemschutzgeräten auszurüsten. Einen anderen Kameraden teile ich als Gruppenführer ein. Ein weiterer Kamerad ist am MTW angekommen und richtet ihn zum Wegfahren. Er wird beim Einsatz mein persönlicher Führungsassistent und meine rechte Hand sein. Mittlerweile treffen nach und nach immer mehr Kameraden ein, davon mehrere Maschinisten und Atemschutzträger. Das passt. So können wir gleich mit mehreren Autos raus.
Mein Führungsassistent und ich rücken aus und ich schnappe mir den Hörer vom Funkgerät, um bei der Leitstelle in VS nachzufragen, ob es schon nähere Infos zu dem Brand gibt, um besser einschätzen zu können, was uns gleich erwartet. Die Leistelle erklärt mir, dass es sich mittlerweile um einen Gebäudebrand an einem Einfamilienhaus handelt. Plötzlich ist auch schon eine große Rauchsäule für mich sichtbar. Sofort erwidere ich dem Disponenten auf der Leitstelle, auf Brand 3 zu erhöhen und die Gesamtatemschutzschleife nachzualarmieren. Das heißt für uns, dass die Nachbarwehr mit der Drehleiter zur Unterstützung kommt sowie zwei Nachbarwehren mit einem Einsatzleitwagen und der „Führungsgruppe C“, um mich gleich organisatorisch zu unterstützen.
Beim Eintreffen finden wir einen sehr stark qualmenden Dachstuhl vor, der aber zum Glück noch nicht durchgezündet hat, also noch nicht in Flammen steht. An der Gebäuderückseite ist ein Anbau in Vollbrand. Dieser Brand hat sich unterhalb der Dachhaut bis hin ins komplette Dachgeschoss ausgebreitet, kombiniere ich.
Unser Auto stoppt. Mein Führungsassistent und ich sind für den Moment alleine da, bis die anderen mit dem ersten Löschgruppenfahrzeug eintreffen. Gleich laufen mir Bewohner und Nachbarn des Hauses entgegen und versuchen mir aufgebracht zu erklären, dass es hier brennt. Eine Frau schreit: „Mama ist gerade noch mal rein gerannt und sie ist noch im Haus!“. Jetzt muss ich selbst die Nerven behalten und mein erlerntes und routiniertes Programm abspulen.
Mein Assistent erhält von mir die Anweisung, der Leitstelle genau zu erklären, was hier vor sich geht. Dort müssen sie Bescheid wissen, um alles zu dokumentieren und uns ggf. weitere Unterstützung schicken zu können. Ständig muss ich auch die Personen vor Ort beruhigen und zurückhalten, nicht dass sie selbst wieder ins Gebäude zurück gehen. Endlich höre ich ein Martinshorn. Die Mannschaft kommt. Obwohl ich sie schon sehe, gebe ich ihnen noch über Funk Bescheid, dass wohl noch jemand im Haus ist und wo sie genau an der Einsatzstelle hinfahren sollen. Wenige Sekunden später steigen neun Mann aus dem Auto. Zwei davon tragen Atemschutzgeräte. Jetzt läuft ein zigfach geprobtes Programm ab: Sie bauen eine Wasserversorgung von einem naheliegenden Hydranten auf, legen eine Leitung und setzen einen Verteiler vor dem Gebäude. Die zwei Kameraden unter Atemschutz rüsten sich mit einer Wärmebildkamera und Brechwerkzeug aus und gehen mit schwerer Schlauchreserve in Richtung Eingangstür.
Immer wieder schaue ich auf das Gebäude, um zu sehen, ob es überhaupt noch so sicher ist, dass da jemand von uns rein kann oder ob es jede Minute einzustürzen oder durchzuzünden droht.
Der Trupp verschwindet im Rauch des Hauseingangs und wird sofort von diesem verschluckt und ist nicht mehr zu sehen.
Ein zweites Martinshorn. Super! Das ist unser zweites Löschgruppenfahrzeug. Ich funke auch sie an, um ihnen zu sagen, wo sie anhalten sollen. Als der Gruppenführer aussteigt und mir entgegenkommt gebe ich ihm die Anweisung, sich von außen um den im Vollbrand stehenden Anbau zu kümmern. Bei ihm weiß ich, dass ich ab jetzt nichts mehr sagen muss bis er sich wieder meldet. Der macht das da hinten.
Ich laufe noch mal ums Haus, um mir alles anzuschauen. Reicht das, was ich nachgefordert habe oder brauchen wir noch mehr Verstärkung? Warten wir erst mal ab. Schließlich sind noch mehrere Fahrzeuge und Kameraden unterwegs und meine Verantwortung hinsichtlich der Kosten, die hier entstehen, muss ich auch noch im Auge behalten.
Als ich wieder vor dem Haus ankomme treffe ich den Bürgermeister und zwei erste Kameraden von der Führungsgruppe C am MTW. Ich schildere ihnen kurz die Lage und bin froh, dass ich endlich jemanden da habe, der mir hilft, an alles zu denken, was relevant ist. Ich kann das erste Mal etwas durchatmen. Gleich beginnen wir zu besprechen, was wir noch benötigen. Muss das Wasserwerk informiert werden, dass wir hier gerade sehr viel Wasser aus den Hydranten holen? Wo kommen eigentlich die Bewohner des Hauses unter, wenn das hier vorbei ist, ...?
Die Drehleiter rückt an. Für sie haben wir extra direkt vor dem Haus Platz gelassen, damit sie möglichst überall am Dach hinkommt.
Zwischenzeitlich kommt die Bewohnerin des Hauses zu mir, und sagt mir erleichtert, dass ihre Mutter bei den Nachbarn ist und es ihr gut gehe. Ich bin sehr erleichtert und gebe das gleich an meine Gruppenführer weiter. Die beiden Trupps, die mittlerweile im Haus sind, können sich voll auf die Brandbekämpfung und Schadensminimierung konzentrieren und müssen keine Personen mehr suchen. Nach kurzer Zeit sehe ich von außen, dass sie im Dachgeschoss angekommen sein müssen: Der dicke, gelbbraune Rauch ändert seine Farbe in weißen Wasserdampf. Den Dachstuhl haben wir gehalten! Klasse Leistung!
Einige Meter weg vom Haus haben wir an der Einfahrt einer Nebenstraße einen Sammelplatz für die Einsatzleitung eingerichtet. Hier steht nun der Einsatzleitwagen neben unserem MTW und mehrere Kameraden der Führungsgruppe C laufen hin, beschäftigen sich damit, genau aufzunehmen, was alles schon hier ist, mich zu beraten, was wir vielleicht noch brauchen und regelmäßig die Lage an die Leitstelle weiter zu geben.
Daneben stehen mehrere Fahrzeuge aus Mundelfingen, Behla und Sumpfohren, die noch mehr Feuerwehrleute und vor allem Atemschutzträger mitgebracht haben.
Jetzt läuft alles. Wir haben genug Leute da, Wasser gibt es auch und alles steht. Immer wieder mache ich meine Kontrollgänge zur Erkundung der Einsatzstelle, um zu schauen, wie sich alles entwickelt. Als die ersten Angriffstrupps aus dem Haus kommen, merke ich erst, wie heiß mir eigentlich ist. Wir haben August und die Sonne brennt auf uns herunter. Die Jungs haben da drinnen gerade mehr als einen Liter Wasser verloren. Einer ist ziemlich fertig und muss sich hinsetzen. Wir legen sofort einen Platz unter ein Paar Bäumen fest, an den wir mehrere Packungen Wasserflaschen bringen lassen, damit dort Pausen gemacht werden können.
Die Bewohnerin taucht plötzlich bei mir auf und sagt mir, dass die Katze nicht auffindbar sei. Die muss noch im Wohnzimmer sein. Sofort gebe ich das an den Gruppenführer weiter, der als Aufgabe den „Innenangriff“ hat. Er gibt das an seine Trupps im Gebäudeinneren weiter. Zum Glück ist der Rauch schon stark zurückgegangen. Schon nach ein paar Minuten erfahre ich, dass die Katze im Wohnzimmer ist, aber so verängstigt, dass sie vor den seltsam aussehenden Männern unter Atemschutz panisch hinter die Schränke geflüchtet ist. Na ja, immerhin ist sie am Leben.
Zusammen mit dem Kreisbrandmeister, der mittlerweile an der Einsatzstelle angekommen ist und zwei Gruppenführern schauen wir uns die Rückseite des Hauses an. Wir beschließen, dass wir das Dach teilweise abdecken müssen, um die letzten Glutnester in der Dachhaut ablöschen zu können. Zum Glück haben wir noch genügend Kameraden da. Das wird sehr, sehr anstrengend und kann auch noch länger dauern.
Ich entscheide mich, dass wir eines unserer Löschgruppenfahrzeuge wieder nach Hause schicken, damit die sich wieder einsatzbereit machen können, falls ein weitere Notruf kommt. Mit einer der Abteilungswehren machen wir dasselbe. Auch die Führungsgruppe räumt langsam zusammen. Wir haben es geschafft! Das Haus steht noch, der Wasserschaden ist minimal, auch die Katze ist mittlerweile raus und die erschöpften Kameraden erholen sich vor dem Haus mit kühlen Getränken. Die Nachbarn des Hauses sprechen ihnen Mut zu, uns bringen sie Tabletts mit Kaffee und etwas Schokolade. Diese kleinen Gesten freuen uns sehr und zeigen, dass bei uns die Welt noch in Ordnung ist und Respekt und Anerkennung keine Fremdworte sind.
Nach etwa drei Stunden hartem Einsatz, davon mindestens die Hälfte mit äußerster Konzentration, kann ich endlich den von manchen langersehnten Befehl geben: „zum Abmarsch fertig!“. Wir räumen alles zusammen und fahren in Richtung Gerätehaus. Dort erwartet uns jetzt noch ein langes Aufräumen und Richten der Ausrüstung und der Fahrzeuge. Ich muss noch den Einsatzbericht für die Stadtverwaltung schreiben, in dem ich alles notiere, was während dem Einsatz passiert ist und wer alles da war. Das nimmt nochmal einen Haufen Zeit in Anspruch.
Mittlerweile ist es kurz vor 21 Uhr. Alles ist fertig. Da das Wetter so schön ist, setzen wir uns hinters Gerätehaus, trinken noch etwas zusammen und philosophieren erleichtert über das Geschehene – auch mit etwas Stolz. Aber auch froh darüber, Teil einer solchen Gruppe zu sein.